Ein vielschichtig beleuchteter Beitrag über das »Nichtstun« auf Ö1. Moment am Sonntag. Im Interview u.a. IBG Gründer, Arbeitsmediziner, Neurologe und Psychotherapeut, Rudi Karazman zu »Nichts tun geht nicht« Ein Auszug aus der Ö1 Sendung-Moment am Sonntag zum Thema »Nichtstun geht nicht«. Gestaltung von Andrea Hauer.
R.Karazman: Dieses berühmte Abschalten, da bin ich der falsche Interviewpartner.
Man kann im Liegestuhl liegen und aufs Meer hinausschauen. Das ist der schönste Moment der Welt, aber in Wahrheit ist man in einem irrsinnigen Dialog mit sehr Vielem da draußen….oder da drinnen. Zum Beispiel treten Panikattacken vor allem dann auf, wenn man in Ruhe geht. Für Panik-Phänomene gibt es verschiedene Begriffe. Im spanischen heißt das zum Beispiel „Angiesta“, also der Angstanfall während der Siesta oder im Amerikanischen gibt es die „Highway Hypnosis“ – die Panik-Attacken kommen, wenn man ewig lange auf der Autobahn dahin fährt, so mit sich alleine ist, quasi in Trance. Oder bei den Inuit – wenn sie im Boot ganz weit draußen am Meer sind, es ist Ruhe, das Wasser ist ganz glatt, dann treten die Sachen auf. Denn in diesen Ruhephasen sozusagen, kommen die Spitzen, die in uns sind, plötzlich rauf und man ist konfrontiert mit dem, was wir noch nicht erledigt haben, oder wovor wir Angst haben oder was man befürchtet.
Ö1: Man kann nicht nichts tun–
R.Karazman: Ich denke auch, wenn man wahrnimmt, genießt oder achtsam ist. Das ist auch letztlich Arbeit. Wenn man seine Phantasie spielen lässt oder oft in der Früh, noch im Bett liegt, noch die Nacht auslaufen lässt, im Kopf spielt es sich schon ab. Auch Genießen ist eine Form von Produktivität. Wir sind auf Produktivität angelegt, weil wir uns nur so selbstverwirklichen können.
Ö1: Ein verrufenes Wort vielleicht. Im Sinne von besonders viel, oder ununterbrochen hervorbringen. Das sei nicht gemeint.
R.Karazman: Pro-ducere. Das heißt eigentlich etwas von mir auf etwas anderes hinführen. D.h. es ist etwas in mir, ein Potential, und indem ich auf irgendetwas einwirke und etwas bewirke – tue ich mich auch verwirklichen. Ich tue das Potential anhand einer Aufgabe, eines Interesses, einer lustigen Sache sozusagen, realisieren. Insofern ist das die Daseinsform des Menschen. Oder wenn man so will, die Produktivität als anthropologische Qualität – ist die Grundlage unserer Entwicklung und Gesundheit. Und Stagnation ist die Grundlage von Krankheit.
Ö1: Einerseits. Andererseits. Die Lust produktiv zu sein, kann doch Ausquetscherei werden.
R.Karazman: Es gibt sicher auch den Punkt, dass man sich nicht gönnt, faul, ruhig oder nichts tuend zu sein. Von Kindheit an sei fleißig, tu was, du sitzt schon wieder herum, das ist so in uns drinnen und dann kommen die Sachen hoch, um sich quasi selbst zu beschäftigen.
Ö1: Tun Sie einfach mal nichts.
R.Karazman: Man kann Entspannung lernen. Auch Ruhe lernen. Aber das muss man lernen, so wie man Klavier spielen lernt. Man kann das nicht so einfach. Vor allem in unserer Gesellschaft, die so hochtourig unterwegs ist, dass wir dann einfach stoppen.
Dieser Beitrag ist bis Samstag, 11.8.2019, auf https//oe1.orf.at/player/20190804/560562 verfügbar.